Es herrscht ein uralter Streit zwischen den Florentinern und den Sienesen, wer die schönere, bedeutendere und geschichtsträchtigere Stadt der Toskana besitzt. Wo Florenz mit der kühlen Pracht seiner Renaissance-Palazzi prunkt, hält Siena den Gast mit dem mittelalterlichen Charme seiner verwinkelten Gassen und ziegelroten Mauern gefangen. „Il sogno gotico“, gotischer Traum, nennen die Sienesen schwärmerisch ihre Stadt. Wer einmal den prachtvollen Dom besichtigt hat, der majestätisch auf einem Hügel hoch über der Terrakotta -gefärbten Altstadt thront, und dann durch die malerischen Gässchen geschlendert ist, kann den Stolz der Einheimischen nur allzu gut verstehen.
Geschichtlich wurde die Konkurrenz zwischen Florenz und Siena in der Schlacht
von 1555 entschieden, als Siena gegen die verbündeten Armeen von Florenz, Mailand
und Spanien unterlag und seine Unabhängigkeit verlor. Die ganze Toskana geriet daraufhin
unter den Einfluss von Florenz und der dort herrschenden Sippe der Medici.
Die jahrhundertealten Kämpfe zwischen den verschiedenen Stadtstaaten der Region
waren damit zu Ende gegangen, die im Volk fest verwurzelten Rivalitäten jedoch noch
lange nicht. So ist es kein Geheimnis, dass die in ganz Italien als arrogant geltenden
Florentiner auf die stolzen Sienesen nicht allzu gut zu sprechen sind (und umgekehrt
ebenso).
Wenn mit Fremden dagegen über die Toskana gesprochen wird, verschwinden die Gegensätze
und die Region wird in schönster Einigkeit gepriesen.
(Unten die typische Hügellandschaft dieser Region, genannt "Crete Senesi")
Monteriggioni
Monteriggioni (Links unten) galt als Bastion im Kampf der Sienesen gegen Florenz
und war um die Mitte des 12. Jh. ein Besitz der Adelsfamilie Staggia. 1554 wurde
es vom mediceischen Heer erobert und folgte danach den Geschicken der Toskana.
In diesem wertvollen und gut erhaltenen mittelalterlichen Dorf spürt man noch die
damalige Atmosphäre, in der Piazzetta, in den Befestigungen und in der Pfarrkirche,
die ihre romanisch-gotische Anlage bewahrt hat. Besonders sehenswert ist die starke
Ringmauer mit seine 14 Türme.
Beeindruckend ist auch die Umgebung: In Abbadia Isola liegt die romanische Abtei
San Salvatore. In ihrem Inneren befinden sich eine Urne für marmorne Reliquien in
romanischem Stil, ein Taufbecken aus dem 15. Jh. einer "Maria mit dem Kinde" von
Sano di Pietro aus dem Jahre 1471, eine "Mariä Himmelfahrt" von Vincenzo Tamagni
und eine "Maria mit dem Kinde", die der frühen Tätigkeit von Duccio di Buoninsegna
oder seiner Werkstatt zugeschrieben wird. In Casone sind in verschiedenen Landgütern
Brunnen und Gräbergruppen der Etrusker und der römischen Kaiserzeit gefunden worden.
Die eng in der Toskana Rivalität mit Sportsgeist verwandt sein kann, zeigt ein
uraltes Sieneser Volksfest: Der Palio. Jedes Jahr am 2. Juli zu Ehren der Madonna
di Provenzano und am 16. August zu Ehren der Madonna Assunta wird auf der schönsten
Piazza Italiens, dem muschelförmigen Campo vor Sienas Rathaus (unten), ein Pferderennen
ausgetragen.
Nichts ist für die Sienesen aufregender als dieser Wettstreit, treten doch die Jockeys
für die verschiedenen Stadtteile Sienas, die Contraden, an. Seit dem frühen Mittelalter
bildeten diese Contraden ein lokales Selbstverwaltungssystem, das die Verteidigung
der Stadt sowie die Steuererhebung, die Krankenfürsorge und andere öffentliche Aufgaben
organisierte.
Von einstmals über 40 Contraden sind heute nur noch 17 übrig geblieben, aber von
denen können – aufgrund der Enge der Rennstrecke auf dem Campo – nur jeweils 10
am Palio teilnehmen. Über die Teilnahme entscheidet das Los.
Am Vorabend des Palio finden an langen Tafeln auf der Straße Gemeinschaftsessen
der einzelnen Contraden statt. Das Pferd, das am nächsten Tag für das Viertel starten
wird, erhält sogar einen Ehrenplatz und darf aus silbernem Geschirr fressen.
Am nächsten Tag ist die ganze Stadt in den Farben der Contraden geschmückt, die
jeweils an ihrem Wappensymbol – meist Tiere wie Gans, Schnecke oder Muschel – kenntlich
sind. Rund um den Platz, der von dem schlanken, 102 Meter hohen Rathausturm, dem
Torre del Mangia, überragt wird, zieht stundenlang eine schier unendlich scheinende
Prozession von Fahnenschwingern, die allesamt in mittelalterliche Kostüme gekleidet
sind. Wenn der Nachmittag dann in den Abend übergeht, vibriert die Luft vor Spannung.
Um halb acht geht es los.
Das Startseil fällt und ein einziger Aufschrei geht durch die Menge. In halsbrecherischem
Tempo jagen die Jockeys auf ihren ungesattelten Pferden um die engen Kurven. Stürze
sind keine Seltenheit, was aber nicht zur Disqualifikation der Contrade führt, da
auch ein reiterloses Pferd gewinnen kann. In rund anderthalb Minuten ist alles vorbei.
Das Rennen ist entschieden, die siegreiche Contrade feiert überschwänglich den Sieg,
die Kontrahenten werden dagegen verhöhnt und verspottet. Doch unabhängig von Sieg
oder Niederlage: Gefeiert wird die ganze Nacht.